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eikes Eltern verstarben plötzlich bei einem Autounfall. Die junge Frau war schockiert. Ihre Mutter – eine freiberufliche Malerin – und ihr pensionierter Vater fuhren stets vorsichtig. Heike beschloss, sich zwei Wochen freizunehmen. In dieser Zeit verarbeitete sie die erste Trauer und kümmerte sich um die Beerdigung.​

Auch ihr Bruder Kristof kam dazu und half ihr bei den organisatorischen Verpflichtungen, die bei einem Todesfall anfallen. Beide waren die einzigen Erben. Im Elternhaus in München entdecken sie, dass ihre Eltern Mahnschreiben ungeöffnet in einer Schublade sammelten. Heike und Kristof verstanden die Welt nicht mehr. Was würde jetzt mit dem Mahnschreiben passieren? Was bedeuten sie für das Erbe? Gibt es noch weitere Schulden? Wer gibt Auskunft über bestehende Verbindlichkeiten? Hier sind die Antworten.

Erbrecht: Erbe ich auch Schulden?

Ja. Der § 1922 BGB sieht vor, dass die Erben Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers sind. Sehr gut beschreibt der Begriff, was dahintersteckt: Erben erhalten nicht nur Immobilien, das Bankguthaben und Wertgegenstände, sondern auf sie werden ebenfalls die Schulden des Erblasser übertragen. In der Buchhaltung wird dies als negatives Vermögen bezeichnet. Dazu gehören offene Steuerschulden ebenso wie nicht erledigte Forderungen aus Verträgen, die der Erblasser unterzeichnet hatte. Gleiches zählt für Zahlungsansprüche, die durch den Erbfall gegen den Nachlass entstehen. Ein klassisches Beispiel dafür sind Pflichtteilsansprüche.

Wann müssen die Nachlassverbindlichkeiten gezahlt werden?

Nach § 2046 Abs. 1 BGB sollen die Erben zuerst den Nachlassverbindlichkeiten nachkommen. Dies bedeutet, dass sie zunächst das Soll und Haben aus dem Erbe aufstellen. Auf diese Weise wissen sie, ob es sich lohnt, das Erbe anzunehmen oder sie es besser ausschlagen sollten. Auch Heike und ihr Bruder Kristof erhielten diesen wichtigen Ratschlag von einem befreundeten Anwalt. Sie beschlossen, die finanzielle Situation der Eltern im Detail zu beleuchten. Ein weiterer Aspekt ist dabei beachtenswert. Laut § 2046 Abs. 1 S. 2 BGB sollen die Erben für unsichere oder künftige Verbindlichkeiten eine hinreichende finanzielle Rücklage aus dem Erbe bilden. Manchmal sind finanzielle Forderungen noch nicht fällig oder sind streitig. Dafür ist eine Rücklagenbildung unerlässlich. Um Zahlungsansprüchen nachkommen zu können, müssen bei Bedarf materielle Wertgegenstände wie teure Kunstwerke oder Immobilien veräußert werden.

Müssen die Nachlassverbindlichkeiten tatsächlich immer zuerst bezahlt werden?

Die oben genannte gesetzliche Regelung aus § 2046 Abs. 1 BGB ist vernünftig. Halten sich Erben nicht an sie, drohen allerdings keinerlei Sanktionen. Eine Erbengemeinschaft – wie die von Heike und Kristof aus unserem Beispiel – kann auch im ersten Schritt das bestehende positive Vermögen unter sich aufteilen. Erst im zweiten Schritt können sie den Nachlassverbindlichkeiten nachkommen. Die Gläubiger können dem nichts entgegenstellen.

Trotz dieses Spielraums entscheiden sich die meisten Erbgemeinschaften dazu, zuerst die Nachlassschulden zu begleichen. Dies beschlossen auch Heike und Kristof. Sie erfuhren von der gesamtschuldnerische Haftung nach § 2058 BGB. In diesem Paragraphen ist vermerkt, dass sich ein Gläubiger den Erben auswählen kann, von dem er seine finanzielle Forderung in kompletter Höhe haben möchte. In der Praxis sucht sich dieser natürlich den Erben aus, der ihm am zahlungskräftigsten erscheint. Dieser muss die nicht bezahlten Nachlassverbindlichkeiten begleichen. Die anderen Erben sind nicht dazu verpflichtet, sich daran zu beteiligen.

Gibt es auch Verpflichtungen, die nicht vererbt werden?

Auch diese gibt es. Im Fall von Heike und Kristof war die Mutter freischaffende Künstlerin. Sie hatte einem Kunden versprochen, von ihm ein Porträtbild zu malen. Da jedoch ihre Kinder ihr künstlerisches Werk nicht erstellen konnten, erlosch diese Verpflichtung. Arbeitsverträge gehen ebenfalls auf die Erben nicht über. Nicht vererbbar sind zudem Unterhaltsverpflichtungen, die ein Erblasser gegenüber Verwandten oder Kindern hatte. Doch keine Regel ohne Ausnahme: Unterhaltsverpflichtungen müssen beglichen werden, wenn ein Unterhaltsanspruch aufgrund von Nichterfüllung zu Lebzeiten besteht. Gleiches zählt für im Voraus zu zahlende Leistungen, welche zum Todeszeitpunkt fällig werden. Diese Regelungen sind im § 1615 BGB vermerkt.

Und es existiert eine weitere Ausnahme: Der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehepartners oder eingetragenen Lebenspartners erlischt mit dem Tod der unterhaltspflichtigen Person nicht. Nach § 1986b BGB bzw. § 16 LPartG wird daraus eine Nachlassverbindlichkeit gegenüber der Erben. Die Höhe ist jedoch begrenzt. Sie darf den Pflichtteil nicht überschreiten, welcher dem Unterhaltsberechtigten zustände, wenn die Ehe oder Lebenspartnerschaft nicht geschieden worden wäre.

Müssen Schulden beim Fiskus beglichen werden?

Steuerschulden gehen auf die Erben über, was in der Abgabenordnung § 45 erwähnt wird. Der Erbe oder die Erbengemeinschaft haften für bestehende Schulden bei Fiskus zuzüglich der Säumnis- und Verspätungszuschläge. Darüber hinaus tritt der Erbe steuerverfahrensrechtlich in die Rechtsstellung des Verstorbenen gegenüber der Steuerbehörde. Dies bedeutet nach § 153 AO, dass er auch Steuererklärungen mit Fehlern berichtigen muss. Bei bereits festgesetzten Zwangsgeldern hat das Gesetz allerdings ein gnädiges Einsehen.

Einige Erben dürften jetzt einen Seufzer ausstoßen. Jedoch zählt wie immer die Regel: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Das heißt, dass nicht nur steuerliche Verpflichtungen übernommen werden, sondern auch positive Außenstände. Gab es beispielsweise einen Einkommenssteuererstattungsanspruch gegenüber der Steuer, so geht dieser Anspruch an die Erben über.

Wie lässt sich feststellen, ob Schulden bestehen und wie hoch diese sind?

Heike und Kristof waren über die vielen Mahnungen ihrer Eltern überrascht. Welchen Schulden hatten die Verstorbenen noch? In der Praxis ist es gar nicht leicht, eine Überschuldung des Nachlasses festzustellen. Die Erben können nach der Erbschaftsannahme von einem Aufgebotsverfahren nach §§ 1970 ff. BGB Gebrauch machen. Nachlassgläubiger werden im Rahmen dessen dazu aufgefordert, innerhalb einer gewissen Frist ihre Forderungen anzumelden. Melden sich die Gläubiger nicht fristgerecht, erlöschen ihre Forderungen zwar nicht. Jedoch werden diese nur noch aus dem Nachlass entrichtet. Mit ihrem Privatvermögen haften die Erben nicht mehr. Nachzulesen ist dies im § 1973 BGB.

Zwei weitere Möglichkeiten sind die Beantragung einer Nachlassverwaltung oder ein Einleiten eines Nachlassinsolvenzverfahrens nach § 1975 BGB. Beides erfolgt nach Erbschaftsannahme. Auch bei diesen beiden Verfahren beschränkt sich die Erbenhaftung nur auf den Nachlass. Das Privatvermögen der Erben wird nicht berührt. Erben sollten die Nachlassverwaltung beantragen, sobald der Verdacht besteht, dass der Nachlass die Erbschulden nicht ausgleichen kann. Wer bereits weiß, dass der Nachlass überschuldet ist, sollte sich für die Nachlassinsolvenz entscheiden. In einigen Fällen sind im Erbe nicht einmal hinreichend finanzielle Mittel für die Bezahlung der Nachlassverwaltung oder des Nachlassinsolvenzverfahrens vorhanden. Jetzt gibt es für die Erbgemeinschaft die Möglichkeit zur Dürftigkeitseinrede nach § 1990 BGB. Mithilfe dieser Einrede kann erreicht werden, dass für die Schulden des Erblassers nicht das Privatvermögen herangezogen wird.

Heike und Kristof entschieden sich für die Variante Nachlassverwaltung. Sie erbten das Elternhaus und weitere kleinere Immobilien in München. Ein Makler verkaufte für sie die Immobilien und mit dem Erlös bezahlten sie die ausstehenden Schulden ihrer Eltern sowie die Erbschaftssteuer. Letztlich blieb ihnen das Elternhaus und ein wenig Vermögen aus dem Immobilienverkauf. Übersteigen die Schulden allerdings den Nachlass, kann auch ein Ausschlagen des Erbes ratsam sein.

Wann ist es besser, ein Erbe auszuschlagen?

Die Rechtssprechung geht davon automatisch aus, dass die Erben das Erbe antreten. Sie müssen dieses daher nicht gesondert beantragen. Will ein Erbe oder wollen alle Erben den Nachlass nicht antreten, müssen sie dies innerhalb von sechs Wochen bei der entsprechenden Behörde bekannt machen. Dies ist für alle empfehlenswert, die nur Schulden aus dem Erbe erhalten würden. Alle Haftungsansprüche entfallen. Trotzdem kann es aber sein, dass die Beerdigungskosten übernommen werden müssen. Dies hängt maßgeblich davon ab, ob der Erbberechtigte dem Verstorbenen gegenüber unterhaltspflichtig gewesen wäre und wie er finanziell aufgestellt ist. Stellt sich erst nach Annahme der Erbschaft und damit nach dieser sechswöchigen Frist heraus, dass der Erblasser überschuldet war, besteht die Möglichkeit zur Anfechtung der Erbschaftsannahme. Dafür ist es wichtig, einen rechtfertigenden Irrtum nachzuweisen, wie es § 1954 BGB im Rahmen des Erbrechts vorschreibt.

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Photo by Anh Nguyen on Unsplash

Publiziert am 
Oct 15, 2018
 in Kategorie:
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