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tefan hatte sich gefreut. Sein kinderloser Onkel hatte ihm ein großes Haus in München vermacht. An die Immobilie konnte er sich kaum erinnern, da er das letzte Mal in Kindheitstagen und damit vor mehr als 50 Jahren dort war. ​

Häufig hatte er seinen Erbonkel nicht gesehen und nach dem Tod der eigenen Eltern war der Kontakt komplett abgerissen. Und jetzt wurde er durch das Erbe eines Hauses geradezu überrascht. Doch die Freude über das Erbe hielt nicht lange. Nach dem Gespräch mit dem Notar begutachtete er seinen Nachlass – zuerst von außen, dann von innen und dann auf dem Papier. Das Haus lag nicht direkt in München, sondern im weiteren Umland. Es war riesig, aber in einem extrem schlechten Zustand. Eine umfangreiche Sanierung wäre erforderlich, um es bewohnbar zu machen. Doch hierfür fehlte Stefan das Geld. Er selbst lebte von einem kleinen Einkommen, hatte kein Vermögen auf der Bank und der Onkel vererbte ihm auch kein Bargeld. Stefan sah nur noch eine aufwendige Entrümpelung, eine kostspielige Sanierung oder gar einen teuren Abriss auf sich zukommen.

Aufgrund der hohen Grundstückspreise an diesem Standort könnte sich dieser Aufwand jedoch lohnen, wie ihm ein ortskundiger Makler verriet. Allerdings teilte er ihm auch mit, dass sich einst auf dem Grundstück eine Lackiererei befand. Der Immobilienmakler legte ihm nahe, zeitnah ein Bodengutachten erstellen zu lassen. Das tat Stefan und das Ergebnis war niederschmetternd: Der Boden war mit Altlasten verseucht, deren Beseitigung sich als sehr kostspielig herausstellte. Zusammen mit dem Abriss des Hauses käme auf Stefan eine Kostenbelastung zu, die ihn zurückschrecken liess. Enttäuscht entschied er sich dazu, das Erbe auszuschlagen.

Vonselbsterwerb versus Erbausschlagung

Stefan hat in diesem Fall wahrscheinlich richtig gehandelt. Es kann grundsätzlich sinnvoll sein, ein Erbe auszuschlagen. Dies ist ein aktiver Vorgang, der im Gegensatz zum Vonselbsterwerb steht.

Der Vonselbsterwerb ist ein Wesensmerkmal des deutschen Erbrechts, das herrenlose oder „ruhende“ Nachlässe verhindern soll. Durch den Vonselbsterwerb fällt dem Erben das Erbe mit dem Tod des Erblassers automatisch, also „von selbst“, zu. Der Erbe muss weder davon wissen, noch muss er oder eine dritte Person diesbezüglich etwas unternehmen. Auf diese Weise kann man auch gegen den eigenen Willen Erbe werden.

Anders ist die Sachlage, wenn ein Erbberechtigter sein Erbe ausschlagen möchte. Dafür ist eine ausdrückliche Erklärung erforderlich, die fristgerecht beim zuständigen Gericht eingereicht werden muss. Nach § 1942 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) tritt der Erbe damit alle Rechte und Pflichten am Nachlass ab. Dies schließt ebenfalls den Hausrat des Erblassers ein. In unserem Beispiel hätte Stefan somit keinen Anspruch auf Wertsachen des Onkels – nicht einmal auf das Familienfotoalbum. Da es sich hierbei jedoch um keinen Wertgegenstand handelt, hätte er es aus Kulanz vermutlich dennoch bekommen.

Grundsätzlich kann jeder Erbberechtigte von seinem Nachlass zurücktreten. Die einzige Ausnahme stellt der Staat dar, denn, wenn sich kein anderer Erbe findet, ist dieser der Schlusserbe. Er verwertet ein etwaiges vorhandenes Vermögen und begleicht damit die Schulden des Erblassers, wenn er welche haben sollte. Ist der Betrag der Schulden höher als der Nachlass, bleiben die Gläubiger darauf sitzen. Der Staat haftet nicht für die Schulden.

Wann sollte ich ein Erbe ausschlagen?

Gründe, ein Erbe auszuschlagen, gibt es viele. Zumeist wird ein Nachlass abgelehnt, wenn der Erblasser Schulden an seine Hinterbliebenen übergibt. Jedoch gibt es noch weitere Gründe, warum manche Personen ihr Erbe ausschlagen:

  • Sie möchten das Erbe an Nacherben weitergeben.
  • Sie würden durch das Erbe Schulden machen.
  • Sie hatten kein gutes Verhältnis zum Erblasser.
  • Sie interessieren sich nicht für die Erbmasse.
  • Sie sehen die Erbmasse als zu unbedeutend an.
  • Sie möchten die Pflichten, die mit der Annahme des Nachlasses einhergehen würden, nicht übernehmen.
  • Sie befinden sich selbst in der Privatinsolvenz.
  • Sie fürchten, dass die vorhandene große Geldsumme Schwarzgeld darstellt und sie somit selbst zu Steuersündern werden würden.
  • Sie befürchten Erbstreitereien.

Es existieren noch viele weitere Gründe, warum ein Erbe ausgeschlagen wird. Letztlich ist der Grund für das Gericht allerdings unerheblich. Er muss im Schreiben an das Gericht nicht angegeben werden.

Erbe ablehnen: so funktioniert’s

Erben müssen fix reagieren, wenn sie ein Erbe ausschlagen. Innerhalb von einer Frist von sechs Wochen nach Kenntnis über den Erbfall muss dies erfolgen. Der Erbberechtigte kann dafür selbst beim zuständigen Nachlassgericht vorstellig werden oder er gibt über einen Notar dort eine notariell beglaubigte Erklärung ab. Für diesen Vorgang fallen Kosten an, die sich am Wert des Nachlasses orientieren. Ist das Erbe überschuldet, beträgt die Mindestgebühr nach Ziff. 21201 KV GNotKG nur 30 Euro.

Achtung: Erbberechtigte sollten an die Konsequenzen der Erbausschlagung denken. Durch die Ausschlagung rückt eine andere Person als Erbe nach. Dies kann ein Ersatzerbe aus dem Testament sein oder – bei gesetzlicher Erbfolge – der nächste gesetzliche Erbe. Dabei kann es sich sogar um die eigenen minderjährigen Kinder handeln. Stirbt beispielsweise der überschuldete Vater, sollten die Eltern auch gleich eine Verzichtserklärung für ihre Kinder abgeben.

Ich habe gar nichts vom Erbe gewusst: Was passiert jetzt mit der Frist für die Erbausschlagung?

Handelt es sich um einen nahen Angehörigen, geht das Gericht davon aus, dass der Fristbeginn mit dem Tag des Todes des Erblassers beginnt. Doch Familiengeschichten sind kompliziert und manchmal sind Vater und Sohn, Bruder und Schwester oder Oma und Enkelin miteinander zerstritten. Über Jahre hinweg gab es keinen Kontakt. Jetzt liegt es an dem Erbberechtigten dem Notar nachzuweisen, dass er keine Kenntnis über das Ableben hatte. Auf diese Weise lässt sich der Fristbeginn verschieben.

Manchmal lebt ein Erbberechtigter auch im Ausland. Ist dies der Fall, verlängert sich die Frist für die Erbausschlagung auf sechs Monate.

Soll ich das Erbe ausschlagen oder besser nicht?

Dies ist eine private, individuelle Frage, die jeder selbst beantworten muss. Ist der Hintergrund der Frage rein finanzieller Art, sollte der Schritt besonders gründlich überlegt werden. An erster Stelle steht notwendigerweise immer, die Erbmasse innerhalb der gesetzlichen Frist zu ermitteln, also genau festzustellen, woraus das Erbe überhaupt besteht. In die Erbmasse fließt beispielsweise ein:

  • Bargeld
  • Kontoguthaben
  • Schmuck
  • Hausrat
  • Immobilien
  • Autos
  • Wertpapiere
  • Sparbücher

Dem kompletten Vermögen wird ein Geldwert zugeschrieben. Von ihm müssen etwaige Schulden abgezogen werden. Sollten die Schulden über dem Geldwert liegen, entscheiden sich die Erben oft gegen den Nachlass. Natürlich können die Wertgegenstände des Erblassers verkauft werden, um die Schulden zu begleichen. Auch können die Erben Wertgegenstände behalten, sollten sie einen ideellen Wert besitzen.

Hinweis: Eine gemeinschaftliche Erbschaft bedeutet nicht, dass alle Erben gemeinsam das Erbe ablehnen müssen. Jeder kann einzeln die Entscheidung darüber treffen.

Ich habe das Erbe ausgeschlagen: Wer erbt jetzt?

Schlägt bei einer Erbengemeinschaft ein Erbe den Nachlass aus, wird sein Anteil auf die anderen übertragen. Sollte er der einzige Erbe sein und es existiert kein Testament, tritt nun die gesetzliche Erbfolge in Kraft. Hier die Rangordnung der Erben:

  • Kinder und Enkel
  • Eltern und Geschwister
  • Großeltern, Onkel, Tanten
  • Urgroßeltern

Sonderfall Ehegatte: War der Erblasser verheiratet, erhält der Ehepartner die Hälfte des Vermögens und den anderen Teil die Erben der ersten, zweiten bzw. dritten Ordnung. Liegt ein Testament vor, kann auch jemand erben, der nicht dieser Rangordnung angehört. Sollte diese Person zum Alleinerben werden, muss sie an die Erben der ersten Ordnung und den Ehepartner des Toten den Pflichtteil auszahlen.

Das Erbe wurde ausgeschlagen: Was passiert mit den Bestattungskosten?

Stefan aus dem anfänglichen Beispiel lehnte die Erbschaft seines Onkels ab. Jetzt dachte er, dass er mit der ganzen Angelegenheit nichts mehr zu tun hätte. Er täuschte sich. Nach § 1968 BGB ist geregelt, dass die Erben für die Beerdigungskosten aufkommen. Da es neben Steffen keine weiteren Erben gab, konnte auf sie diese Pflicht nicht übertragen werden. Jetzt tritt das Fiskalerbrecht ein und alles geht auf den Staat über. Dennoch können die Gemeinden von den potenziellen Erbberechtigten die Bestattungskosten zurückfordern. Der Grund: Die Beerdigungskosten sind Bestandteil der Unterhaltspflicht.

Ist eine Erbausschlagung eine endgültige Entscheidung oder kann ich sie rückgängig machen?

Eigentlich trifft der Erbbegünstigte mit seiner Erbausschlagung eine endgültige Entscheidung. Doch in seltenen Ausnahmefällen gibt es die Möglichkeit, die Entscheidung rückgängig zu machen. Hierfür kann beispielsweise §§ 119, 1954 BGB für eine Irrtums-Anfechtung herangezogen werden. Dieser Fall kann eintreten, wenn nachträglich Vermögen auftaucht.

Gleiches gilt übrigens auch umgekehrt: Sollten nach der sechswöchigen Frist unerwartet Schulden auftauchen, kann man versuchen, das Erbe nachträglich auszuschlagen.

In beiden Fällen muss eine Anfechtung sehr sorgfältig erfolgen. Ob man sich nun dafür entschieden hat, das Erbe anzunehmen oder auszuschlagen, möchte man die Entscheidung rückgängig machen, muss man als Erbe nachweisen, dass der jeweils getroffenen Entscheidung ein Irrtum zugrunde lag. Weitere Gründe für eine Anfechtung der eigenen Entscheidung sind Täuschung durch Dritte oder Drohungen durch Dritte. Auch hier obliegt die betreffende Person der Beweispflicht.

Gibt es eine Alternative zur Erbausschlagung?

Nicht immer wollen Erben ihr Erbe ausschlagen, nur weil der Nachlass überschuldet ist. Zum Beispiel entscheiden sie sich aus sentimentalen Gründen trotz Schuldenlast für das geliebte Elternhaus. In diesem Fall kann es empfehlenswert sein, eine Nachlassverwaltung oder eine Nachlass-Insolvenz zu beantragen. Auf diese Weise kann man als Erbe die Haftung limitieren und so unter Umständen das geliebte Elternhaus bewahren.

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Photo by Thomas Martinsen on Unsplash

Publiziert am 
Jun 20, 2018
 in Kategorie:
Erben

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