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abine und Peter haben nur einen Sohn: Christian. Er ist zwar bereits volljährig, aber aufgrund eines schweren Unfalls in der Kindheit nicht voll erwerbstätig und benötigt eine Betreuung für alltägliche Aufgaben. Zu Recht haben die besorgten Eltern Angst, dass sein Erbe für Sozialleistungen und Pflege komplett aufgebraucht wird, bevor er Sozialhilfe und Eingliederungshilfe beziehen wird. Was sollen sie tun? Ist die Enterbung des Sohnes empfehlenswert, um ihm das Geld anderweitig zukommen zu lassen? Wie lässt sich ihr erwachsenes Kind absichern? In diesem Fall raten Fachanwalt und Notar gern zum Behindertentestament.

Was ist mit dem Behindertentestament gemeint?

Ein Anwalt empfiehlt oft ein Behindertentestament, wenn ein Angehöriger und damit Erbe eine Behinderung hat. Dabei handelt es sich um eine so starke körperliche oder geistige Beeinträchtigung, dass die betreffende Person auf Hilfe vom Staat angewiesen ist. Mit dieser Art des Testaments lässt sich umgehen, dass der Nachlass an Träger von Eingliederungshilfen und Sozialleistungen bzw. Staat geht.

Ohne Behindertentestament besteht das große Risiko, dass der Erbe selbst, vom Nachlass nichts hat.

Kürzung der Sozialleistungen durch Erbschaft

Eine Erbschaft soll eine große Freude sein und den Angehörigen bereichern, aber dies ist nicht immer der Fall. Erben Behinderte, kann es sein, dass es zur Kürzung der Sozialleistungen kommt. Das liegt daran, dass die Sozialhilfe für die Grundversorgung des Sozialhilfeempfängers aufkommt. Diese erhält die behinderte Person jedoch erst, wenn diese ihr persönliches Vermögen fast aufgebraucht hat. Geerbtes Vermögen fällt ebenfalls darunter.

Ein Erbe kann eine behinderte Person nicht mehr bedürftig machen, weswegen der Staat ihr die Sozialleistungen kürzt oder komplett entzieht. Verantwortlich dafür ist das Nachrangigkeitsprinzip. Zuerst muss der Behinderte seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten – durch Arbeit oder eben sein Vermögen. Nur wenn das nicht mehr möglich ist, greift Vater Staat ein. Typische Hilfen in diesem Fall stellen Grundsicherung und Eingliederungshilfe dar.

Wie erhalte ich ein Behindertentestament?

Das Behindertentestament stellt eine der besten Maßnahmen dar, um abzusichern, dass der Pflegebedürftige von dem Nachlass tatsächlich profitiert und für sich persönlich nutzen kann – ohne auf Sozialleistungen verzichten zu müssen. Um solch ein Testament aufzusetzen, ist der Gang zum Anwalt oder Notar unerlässlich. Ein Musterformular ist nicht ausreichend, denn es ist wichtig, die individuellen Lebensumstände in den letzten Willen aufzunehmen.

Behindertentestament oder doch lieber Enterbung?

Einige Erblasser meinen, eine Enterbung hätte mehr Vorteile als ein Behindertentestament. Sie enterben dann beispielsweise ihr Kind und setzen in das Testament eine Erbquote, die 50 % niedriger als der gesetzliche Erbteil ist und damit dem Pflichtteil entspricht. Zusätzlich dazu suchen sie sich eine Person aus, welche den Erbanteil des Kindes übernimmt. Sie übernimmt diesen Anteil allerdings nicht wirklich, sondern lässt ihn auf einem anderen Weg dem Kind zukommen.

Diese Idee scheint logisch, sofern sich eine vertrauensvolle Person findet. Doch es gibt Nachteile: Ein behindertes Kind hätte Anrecht auf den Pflichtteil. Und der Pflichtteil ist Vermögen, welches zum Lebensunterhalt aufgewendet werden muss. Der Sozialhilfeträger darf dieses nutzen. Es ist daher wahrscheinlich, dass das Kind trotz des Tricks letztlich von dem Nachlass nichts direkt hat.

Extra-Hinweis: Der Bundesgerichtshof vom 19. Januar 2011 (Az. IV ZR 7/10) urteilte, dass es nicht grundsätzlich sittenwidrig ist, wenn ein behinderter Sozialleistungsbezieher auf den Pflichtteil verzichtet. Doch wer möchte schon das Risiko eines Rechtsstreits eingehen? Bei einer großen Erbschaft entscheidet ein anderes Gericht vielleicht gegen den Beklagten. Deswegen ist es ratsamer, gleich zum Behindertentestament als Schutz vor der Staatskralle zu greifen.

Wie funktioniert eigentlich ein Behindertentestament?

Wird sich für ein Behindertentestament entschieden, wird der Pflegebedürftige Vorerbe. Eine weitere Person oder aber eine Organisation tritt in die Position des Nacherben ein. Der Vorerbe wiederum kann nicht allein festlegen, was mit dem Nachlass passiert. Gleiches greift für den Staat. Auf diese Weise wird das Erbe bewahrt und es können geringe Beträge in regelmäßigen Abständen an den Pflegebedürftigen erfolgen. Darüber hinauf darf der Vorerbe aus diesem Nachlass keine großen Geschenke machen oder beispielsweise Immobilien in München verkaufen. Nur so ist sichergestellt, dass der Sozialhilfeträger sich nicht durch die Hintertür am Erbe bedienen kann.

Extra-Hinweis: An diesen Ausführungen wird deutlich, dass es sich immer um eine beschränkte Vorerbschaft handeln muss. Der Vorerbe darf also nicht frei über das Erbe verfügen, um einen Zugriff der Sozialhilfeträger zu umgehen.

Was geschieht, wenn der pflegebedürftige Erbe stirbt?

Sollte der Vorerbe versterben, geht der Nachlass zumeist an den Nacherben. Das bedeutet: Bei einem Nachlass mit Vorerben und Nacherben erben diese beiden Parteien nicht gleichzeitig, sondern vielmehr nacheinander. Und ein weiterer Punkt ist wichtig: Mit dem Tod des Vorerben erbt der Nacherbe nicht von dem Vorerben, sondern von dem ursprünglichen Erblasser. Auf diese Weise wird umgangen, dass aus dem Erbe doch noch Sozialhilfekosten der vergangenen zehn Jahre dem Staat rückerstattet werden müssen.

Hat die behinderte Person doch noch eigenes Vermögen zu vererben, kann es sein, dass der Staat darauf zugreift. Reicht die Erbsumme dafür aus, die Sozialleistungen aus den letzten zehn Jahren zu bezahlen, wird dies vermutlich auch geschehen. Auch hieran wird deutlich, dass der Pflegebedürftige offiziell kein eigenes Vermögen hat.

Testamentsvollstrecker als Teil des Behindertentestamentes

Ein weiteres Ziel des Behindertentestamentes ist, das Vermögen aus dem Nachlass bestmöglich zu erhalten. Hierfür kommt ein Testamentsvollstrecker zum Einsatz, der das Erbe verwaltet. Er ist dafür da, dass der letzte Wille nach dem Wünschen des Erblassers umgesetzt wird.

Bereits im Testament muss fixiert werden, was mit etwaigen Erbschaftserträgen wie zum Beispiel Zinserlösen passiert.

Eine Möglichkeit ist, dass diese lediglich zur Optimierung des Lebensstandards oder für Kosten rund um die Gesundheit des Behinderten aufgewendet werden dürfen. Damit diese Regelungen befolgt werden und der pflegebedürftige Erbe eben nicht auf den Nachlass unbeschränkt zugreifen kann, untersteht sein Erbteil einer Testamentsvollstreckung – und dies bis zu seinem Tod. Es ist jedoch Möglichkeit, dass der Pflegebedürftige aus der Erbschaft Mittel für Kleidung, Urlaube etc. erhält.

Zwei Arten des Behindertentestaments

Es existieren zwei Arten des Behindertentestaments:

  1. Erbschaftslösung
  2. Vermächtnislösung

Bei der ersten Variante dieser Testamentsform ist der Behinderte ein beschränkter Vorerbe. Dabei ist wichtig, dass seine Erbquote über dem Pflichtteilsanspruch liegt. Als Nacherben werden beispielsweise Nichten, Geschwister oder eine gemeinnützige Institution ernannt. Außerdem gibt es die bereits erwähnte Dauervollstreckung (durch einen Testamentsvollstrecker).

Bei der zweiten Variante – der Vermächtnislösung – erhält der Behinderte lediglich das Vermächtnis. Im Klartext bedeutet dies, dass der Erblasser einen Anteil aus dem Erbe herausnimmt, den wiederum dieser pflegebedürftige Nachkomme erhalten soll. Er wird aber nicht als Erbe eingesetzt. Auch hierbei gibt es eine Dauervollstreckung über das Vermächtnis, sodass die Sozialträger nicht darauf zugreifen können. Der Vermächtniswert sollte - wie bei der Erbschaftslösung - über dem Pflichtteilsanspruch liegen.

Extra-Erklärung: Ein Vermächtnis ist eine Verfügung im Testament, durch die der Erblasser einem bestimmten Begünstigten (Vermächtnisnehmer) einen konkreten Vermögensvorteil zuweist. Der Vermächtnisnehmer erhält bestimmte Vermögenswerte (z. B. Geld, Grundstücke, Schmuck), aber er wird nicht automatisch Erbe des gesamten Nachlasses.

Und was machen jetzt Sabine und Peter wegen ihres behinderten Kindes?

Sabine und Peter aus unserem Beispiel haben sich umfangreich von ihrem Rechtsanwalt beraten lassen. Letztlich wählten sie die Erbschaftslösung aus und entschieden sich für einen guten, vertrauensvollen Freund der Familie als Testamentsvollstrecker. Nachdem die Eltern das Behindertentestament aufgesetzt hatten, sind sie erleichtert. Sie haben eine smarte Versorgung für ihren behinderten Sohn getroffen und stellen sicher, dass weder ihre Immobilien in München noch ihre anderen Vermögenswerte an den Staat gehen. Nach dem Tod des Sohnes fällt das Erbe dem Testamentsvollstrecker und damit dem guten Freund zu.

Weitere Informationen und Quellen zum obigen Thema:

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Ein Hinweis in eigener Sache: Die hier angebotenen Informationen dienen der Orientierung und ersetzen keine Rechtsberatung. Bitte wenden Sie sich an einen qualifizierten Anwalt, Fachanwalt oder Notar, um Ihre eigene Situation abzuklären. - Stand März 2024 -

Photo by David Knudsen on Unsplash

Publiziert am 
Apr 2, 2024
 in Kategorie:
Testament

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